Nationalpark Hohe Tauern

Forum Anthropozän 2019:
Forderung nach Trendwende in Umweltpolitik


Zweite Austragung des wissenschaftlichen Forums unter der Leitfrage „Kann Natur die Menschheit retten?“


Das Forum Anthropozän 2019 widmete sich von 20. bis 22. Juni der Frage „Kann Natur die Menschheit retten?“ Die Forderungen nach einer Trendwende in der Umweltpolitik und konkreten Schritten zur Einleitung einer Transformation durch einen Schulterschluss von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft waren die Kernbotschaften der Veranstaltung. Das Forum, das unter dem Ehrenschutz des Kärntner Landeshauptmanns Peter Kaiser stand, legte heuer im Nationalpark Hohe Tauern einen Fokus auf Bildung im Anthropozän, Smart Cities und Smart Regions sowie energieautarkes Leben und Arbeiten im ländlichen Raum. Die in Arbeitskreisen entworfenen Projektideen sollen mit finanzieller Unterstützung des KLAR!-Programms fortgeführt werden. Die Veranstaltung wurde organisiert und durchgeführt von der Initiative ProMÖLLTAL | ARGE Alpine Nature Campus, dem Nationalpark Hohe Tauern Kärnten, der Nationalparkgemeinde Mallnitz und dem Universitäts.club | Wissenschaftsverein Kärnten.

Bildung im Anthropozän: Bewusstsein schaffen statt Angstmacherei, Systemtransformation als notweniger Schritt

Im von Fritz Habekuss moderierten ZEIT-Gespräch diskutierten Kärnten-Landeshauptmann Peter Kaiser, Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb, Lukas Ott, Leiter der Kantons- und Stadtentwicklung Basel-Stadt, Eva Horn vom Vienna Anthropocene Network, Carmen Sippl von der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich und Philosoph Christian Illies die Dringlichkeit einer Bewusstseinsbildung zum Thema Klimakrise und die dafür notwendige Systemtransformation. Eine rasche Trendwende könne verhindern, dass exponentielle Prozesse in Gang gesetzt werden, die für Mensch und Natur unabsehbare Folgen hätten.

Meeresbiologin Antje Boetius erklärte in einem beeindrucken Vortrag, dass die beschleunigte Erderwärmung nicht nur Prozesse in Gang setzen würde, die wir Menschen durch unser Handeln ausgelöst haben. So würden sich beispielsweise durch die Auflösung des Permafrostes auch die noch gebundenen Schadstoffe vergangener „Altlasten von früheren Klimaveränderungen“ in diese Prozesse einspeisen. Diese Verstärkung von Dynamiken sei in ihren Auswirkungen weitgehend unvorhersehbar, würden jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit zu Extremen führen, für die wir heute noch keine adäquaten Lösungen hätten. Boetius appellierte eindringlich, diese in Wissenschaftskreisen gesetzten 10 Jahre als Gradmesser unserer noch verbleibenden Chance auf Gestaltung zu sehen. Es brauche eine „Transformation in der Beziehung von Mensch und Natur. Denn die Kosten der Verluste an Arten, Natur, Lebensqualität und Wirtschaftsgrundlagen steigen schnell. So müssen wir zunehmend natürliche Dienstleistungen wie Nahrungsbereitstellung, Reinigung der Luft und des Wassers durch technologische ersetzen“, sagt Boetius.

Carmen Sippl empfiehlt, vor allem bei SchülerInnen eine Bewusstseinsbildung nicht durch Angstmacherei zu bewerkstelligen. Das führe bei SchülerInnen nur zu Verdrängung. Es bräuchte Sach-Infos und positive Impulse mit Mut zur Mitverantwortung, um die Gesellschaft zu verändern und die Zukunft selbst anpacken zu wollen.

„Werden wir uns verstehen?“ Ausgangspunkt in der Debatte um das Anthropozän

Heike Egner (Universität Mainz) warf die Frage auf: „Werden wir uns verstehen?“. Egner nahm die Frage als Ausgangspunkt für ihre Analyse des Themas Anthropozän/Menschenzeitalter. Sie fragte, wer das „Wir“ überhaupt sei, denn das Wort „wir“ impliziere, dass es auch die „anderen“ und damit inklusive und exklusive Anteile in der Debatte des Anthropozän gäbe. Daraus resultierend stellt sich sich laut Egner die Frage stellen, ob auch Tiere, Pflanzen und Flüsse zum „Wir“ gehören müssen – vor allem, wenn „Natur die Menschheit retten solle“.

Egner betonte, dass „Getrenntsein keine inhärente Eigenschaft der Welt“ sei. Das Prinzip des Nichtgetrenntseins – in anderen Worten der „Zustand von Verbundenheit“ – wird auch in dem vom Geologen Reinhold Leinfelder geprägten Begriff der „Unswelt statt Umwelt“ sichtbar. Der Begriff der Unswelt weise darauf hin, dass wir Teil der Natur seien und dabei zugleich Verantwortung für das übernehmen müssen, was zu „uns“ gehört.

„Das Menschbild im Anthropozän“ – Philosophischer Talk

Im Philosophen-Talk diskutierten die Literaturwissenschaftlerin Eva Horn (Universität Wien), die beiden Philosophen Christian Ilies (Universität Bamberg) und Peter Strasser (Universität Graz) unter der Moderation von Horst-Peter Groß und Heike Egner vom Universitäts.Club|Wissenschaftsverein Kärnten die Frage „Können wir uns vor uns selbst retten?“. Ausgangspunkt der durchaus kontroversen Debatte war die Frage nach dem Menschenbild, das durch die Krisendiagnose des Anthropozän in Frage gestellt wird. Ob uns unsere Doppelnatur als zugleich natürliches und kulturelles Wesen dazu befähigt, den großen Herausforderungen des Anthropozän zu begegnen, blieb am Ende offen.

Botschaftsvertreter von China und Kirgistan zu Gast in Mallnitz

Vom internationalen Interesse am Thema Anthropozän zeugte die Anwesenheit des Kirgisistan-Botschafters, Bakyt Dzhusupov, Liu Chang vom Botschaftsrat der chinesischen Botschaft und Li Li, Vertreter des Insitute of Earth Environment in China. Li Li hält die rasante Geschwindigkeit der Veränderungen für des zentrale Problem. China sieht er als einen der Mitgestalter von Lösungen, wobei es dazu ein hohes Ausmaß an Informationen und an Kooperationen mit anderen Ländern brauche. Der Kirgisische Botschafter, der bereits zum zweiten Mal das Forum Anthropozän besuchte, wünscht sich einen intensiven Austausch zwischen Österreich und Kirgisistan, um in Bezug auf die zukünftigen Herausforderungen möglichst rasch voneinander lernen zu können.

Mikroplastik ein Anthropozäner Marker: Gesundheitsschäden nicht auszuschließen

Filmemacher Werner Boote diskutierte mit der Ärztlichen Direktorin vom AKH Wien Gabriele Kornek, dem Geologen Michael Wagreich und Arthur Primus (Europlast, Industriellenvereinigung) zum Thema „(Mikro-)Plastik als Anthropozäner Marker“ mit dem Resümee, dass Kosten- und Wettbewerbsfaktoren die Möglichkeiten von Bioplastik einschränken würden und gesundheitliche Schäden durch Mikroplastik nicht auszuschließen seien.

Die beiden Künstlerinnen Katrin Hornek und Sabina Holzer gaben in ihrer Performance „Plastic in the world of tomorrow“ eine eindrückliche Vorstellung davon, was es bedeutet, wenn Plastik in den Körper eindringt.

Die Lesung des Schriftstellers Philipp Weiss aus seinem neuen Theaterstück „Der letzte Mensch“ ließ erahnen, welche tiefgreifende Bedeutung Entscheidungen an Bifurkationen hätten.

Auch die Morgenmeditationen, geleitet vom Psychotherapeuten und Buchautor Arnold Mettnitzer und Edgar Unterkirchner, dem international renommierten Saxophonisten aus dem Lavanttal fanden Anklang. Mettnitzer plädierte für mehr Resonanz in unserem Leben und interpretierte Religion als einen Wegweiser, um uns zurück zur Einheit mit der Natur zu bringen.

„Alarmstufe Grün“: Kinder- und Jugend-Workshops im Nationalpark Hohe Tauern

Im Rahmen des Forums Anthropozän 2019 erwartete die Kinder und Jugendlichen eine erlebnisreiche Zeit, in der sie Abenteuer erlebten und von erfahrenen Nationalpark-Rangern sowie der Künstlerin Eva Flatscher begleitet wurden. Spannende Naturphänomene in den „rangerlabs“ erforschen, Wandern im Seebachtal, den Nationalpark Indoor erkunden sowie die Teilnahme an einem Kunstworkshop waren Fixpunkte dieses Programms.

Am Schlusstag des Forums beeindruckte die 8-jährige Marie Truskaller auf der großen Bühne mit ihrer selbst verfassten Geschichte „Klima oder Ende oder doch?“, in der sie beschreibt, dass sie froh sei, die rote Waldameise noch im Nationalpark gefunden zu haben, denn wenn sie nicht mehr wäre, hätte sich der vom Menschen beeinflusste Klimawandel durchgesetzt. Sie und andere Kinder hoffen sehr, dass bald „Alarmstufe Grün“ ausgerufen werde, denn sonst wäre der Lebensraum der Pflanzen und Tiere zerstört. Marie hatte zudem ein paar Lösungsvorschläge für das hochkarätige Publikum parat: „Geht zu Fuß, wenn es möglich ist und nehmt bei längeren Strecken das Fahrrad und nicht das Auto“.

Weitere Informationen gibt es unter www.forum-anthropozaen.com.

Das Forum Anthropozän geht seit 2018 interdisziplinär der Frage nach, wie sich Menschen wieder verstärkt als Einheit mit der Natur verstehen und erleben können und wie Innovationen eine nachhaltige Entwicklung fördern kann und wie der globale Wandel auch als Chance für eine bewusste Gestaltung der künftigen Erde betrachtet werden kann. Weitere Informationen gibt es unter www.forum-anthropozaen.com.

Die Diagnose des „Anthropozäns“ geht von der Beobachtung aus, dass die Oberfläche der Erde, und damit auch die Lebensbedingungen für Flora und Fauna, durch die Handlungen von Menschen global rasant und in sehr großem Stil verändert werden. Inspiriert zu einem neuen Blick auf die Erde als Lebensraum, stellt das Anthropozän die Menschheit vor ganz neue Verantwortlichkeiten.

Der Begriff Anthropozän (Anthropos = Mensch / Zän = Erdzeitalter) bezeichnet den Eintritt in eine neue, vom Menschen geprägte Epoche der Erdgeschichte. Er wurde 2002 von dem Atmosphärenchemiker und Nobelpreisträger Paul J. Crutzen in den wissenschaftlichen Diskurs eingeführt.


Geschrieben von
Elfriede Oberdorfer

25.06.2019