Üblicherweise beginnt eine Geschichte über den Winterschlaf nicht auf einer tropischen Insel im Indischen Ozean. Und doch: wenn die Trockenzeit auch eine geringfügig niedrigere Temperatur über Madagaskar bringt, dann verzieht sich der Fettschwanz-Maki in seine Baumhöhle, reduziert seine Körperfunktionen, schläft ein und wacht sieben Monate lang nicht mehr auf.
Ein verwöhnter kleiner Kerl, möchte man meinen. Aber auch in der Natur ist immer alles relativ – menschlich betrachtet zumindest.

c Adam Britt (Wikimedia)
Meterhohe Schneemassen bedecken im Winter unsere Berge. Dramatische Bilder und Berichte von scheinbar leidenden Wildtieren berühren immer unser Herz. Und doch hat es schon viele derartige Winter gegeben und die Tiere sind dabei nicht ausgestorben. Anpassung ist gefragt. Und vor allem auch Ruhe in einer Zeit wo jede Belastung tödlich enden kann, weil die Energiebilanz im Körper einfach zu negativ ist und nicht mehr ausgeglichen werden kann mit dem was an Fressbarem da ist.

Hirsch c NPHT Herfried Marek
So verfallen Hirsche bei Eiseskälte in eine Art „Starre“. Die Körpertemperatur wird reduziert um möglichst wenig Wärme an die Umgebung abgeben zu müssen und um energieraubendes Zittern zu vermeiden: Beine 7°C, Körper 15°C und innere Organe 32°C. Das sind Werte, die einen Menschen in kurzer Zeit umbringen würden. Dem Hirsch macht es nichts aus – außer er wird gestört. In Sekundenschnelle muss er dann den Körper auf Betriebstemperatur bringen und durch den Schnee flüchten. Einige Male mag das funktionieren aber dann ist auch der an sich so starke Hirsch am Ende seiner Lebensenergie. Daran sollten wir winterlichen Berggeher denken, wenn Zeitungsberichte über leidende Tiere unser Herz berühren.
In der alpinen Tierwelt gibt es mehrere Optionen den Winter halbwegs zu überstehen, der Winterschlaf ist nur eine Methode. Sie bleibt aber nur Säugetieren vorbehalten, die nicht schwerer als etwa zehn Kilogramm werden wie beispielsweise dem Murmeltier. Frösche graben sich im Schlamm am Bachufer ein. Die Lungenatmung wird eingestellt,es reicht die Sauerstoff-Zufuhr über die Haut. Aber eben nur weil der Frosch völlig regungslos ist und der Körper eiskalt. Frösche, andere Amphibien, Reptilien und wirbellose Tiere wie Insekten können ihre Körpertemperatur nicht aktiv regulieren. Sie überdauern den Winter in scheinbarer Totenstarre. Mit einem chemischen Trick schützen sich viele Arten durch ein körpereigenes Frostschutzmittel aus Zuckerverbindungen vor dem Erfrieren.
Vögel schützen sich durch ein dichtes Daunenfederkleid. Durch die so genannte „pilomotorische Reaktion“ werden die Daunenfedern aufgestellt und der natürliche „Anorak“ wird noch dicker – eine isolierende Luftschicht zwischen den Federn hält den Körper warm. Wenn Gänsehaut unseren Körper erschaudern lässt ist dies nichts anderes – halt ohne Haare und ein Relikt aus längst vergangenen Epochen der Menschheitsgeschichte.
Was aber ist mit den nackten Füßen der Vögel? Warum friert eine Ente nicht am Eis an? Hier hilft das Gegenstrom-Prinzip.
Für den Rücktransport des Blutes vom Vogelfuß ins Innere des Körpers stehen zwei Wege zur Verfügung. Der erste Weg führt über die an der Oberfläche liegenden Hautvenen, der zweite über die tiefer und eng neben den Arterien liegenden Venen. In kalter Umgebung fließt nur sehr wenig Blut durch die oberflächlichen Gefäße. Das meiste Blut fließt durch die tiefen Venen zurück ins Herz und nimmt dabei Wärme von den Arterien auf, so dass es schon vorgewärmt ins Körperinnere gelangt. Es muss also nicht so viel Energie aufgewandt werden, um es auf die Kerntemperatur zu erwärmen. Gleichzeitig wird das in den Vogelfuß fließende arterielle Blut durch das gegenströmende, kalte Venenblut abgekühlt und erreicht das Körperende schon weitgehend auf Außentemperaturniveau. Und etwas Kaltes friert auf etwas Kaltem eben nicht an. Und Wärme geht auch nicht verloren.
Und schließlich bleibt noch die Flucht in den Süden. Weltweit sind auch heuer wieder 50 Milliarden Zugvögel in ihre Überwinterungsgebiete geflogen. Der Vogelzug ist wohl eines der interessantesten Phänomene in der Naturgeschichte und noch bei weitem nicht völlig geklärt. Warum fliegt die Küstenseeschwalbe alle Jahre wieder von Grönland hinunter in die Antarktis und wieder zurück? 40.000 Kilometer hin und retour nur um dort ähnliche Bedingungen vorzufinden wie daheim? Oder der Kuckuck – wir sollten Geld im Sack haben, wenn wir das erste Mal im Jahr seinen Ruf hören. Aufgezogen von Zieheltern die oft selbst keine Zugvögel sind macht er sich im August auf den Weg nach Südafrika, über die Sahara hinweg und im Frühjahr, dass Ganze wieder zurück. Woher kennt er seinen Weg? „Genetisch bedingt“ ist die wissenschaftliche aber freilich doch recht unbefriedigende Antwort.
Vieles ist noch ungeklärt. So bleibt dem Naturfreund eigentlich nur übrig, sich aus einem eigenen Gefühl heraus möglichst rücksichtsvoll zu verhalten. Es ist uns Menschen von Natur aus gegeben uns grundsätzlich vorsichtig zu verhalten. Ansonsten wäre die Menschheitsgeschichte wohl schon längst wieder vorbei. Geistige Möglichkeiten haben es uns ermöglicht unser Dasein auf eine andere Art zu meistern als dies den Tieren möglich ist.
Wir können Tieren immer nur „aus menschlicher Sicht“ begegnen. Wir wissen nicht wie sie wirklich sind. Wir können ihnen nur ermöglichen, dass sie möglichst ungestört in ihrem Umfeld leben können.
Aber wir können uns nun auf die Pracht freuen welche die Natur im Frühjahr wieder entwickeln wird. Wie sie es alle Jahre wieder tut und das seit Millionen von Jahren.